Ehrenmann Franz Stigler

Die B-17 mit dem Spitznamen Ye Olde Pub gehörte zur 379th Bomb Group und war auf dem britischen Flughorst Kimbolton stationiert. Am 20. Dezember 1943 sollte die Maschine als Teil eines Verbandes das Focke-Wulf-Werk bei Bremen angreifen. Es war 2nd Lt. Browns erster Einsatz als Bomberkommandant der Gruppe. Bei dem Angriff wurde die Maschine von Flugabwehrfeuer erheblich beschädigt. Ein Motor fiel aus, ein weiterer wurde beschädigt, so dass die Maschine Fahrt und Höhe nicht mehr halten konnte und hinter die übrigen Flugzeuge der Formation zurückfiel. Dies machte den Bomber zu einem leichten Ziel für weitere Angriffe deutscher Jäger, die die B-17 schwer beschädigten, den Heckschützen töteten und fast alle übrigen Besatzungsmitglieder verwundeten. Brown war an der Schulter verletzt und war wegen der beschädigten Sauerstoffversorgung zeitweise bewusstlos geworden. Der Bomber war von der Luftwaffe als zerstört verbucht und als Abschuss Leutnant Ernst Süß zugeschrieben worden. Dieser überlebte den Jagdeinsatz nicht, sein Jagdflugzeug wurde im Gefecht beschädigt. Süß verließ die Maschine in der Luft und sprang ab, dabei versagte sein Fallschirm.

Franz Stigler bemerkte die sehr tief fliegende Maschine vom Boden aus. Er war mit seiner Bf 109 am Fliegerhorst Jever (nahe Oldenburg) gelandet, wo die Maschine aufgetankt und aufmunitioniert wurde. Sofort kletterte er in seine Messerschmitt, stieg auf und folgte dem Bomber. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits 29 Luftsiege errungen, ein weiterer fehlte ihm noch zum Ritterkreuz. Er näherte sich dem Bomber von hinten zum Angriff und wunderte sich über das Ausbleiben von Abwehrfeuer. Dann erkannte er die Schäden: Eine Fläche war durchschossen, das Höhenruder beschädigt. Der Rumpf war teilweise aufgerissen und gab den Blick nach innen frei, er sah den toten Heckschützen, die Verwundeten und erkannte die wehrlose Situation der gegnerischen Crew. Er griff die Maschine nicht an.

Zu seiner Rechtfertigung sollte er später angeben, die Lage der Besatzung sei vergleichbar mit jener abgesprungener Besatzungsmitglieder. Deren Tötung wurde allgemein als zutiefst unehrenhaft und unmenschlich bewertet. Stattdessen flog er nahe neben der feindlichen Maschine her und nahm Blickkontakt mit Brown auf. Stigler wusste, sein Verhalten konnte als Verrat mit dem Tod bestraft werden könnte. Daher versuchte er, die Amerikaner mit Gesten und Handzeichen zur Landung zu bewegen, was aber vom Kommandanten Brown nicht verstanden oder abgelehnt wurde. Auch seine Vorstellung, der Bomber könnte im neutralen Schweden landen, konnte Stigler nicht vermitteln.

Wegen des Formationsflugs mit einer deutschen Maschine war die B-17 vor weiterem Flugabwehrfeuer geschützt. Da die Luftwaffe auch erbeutete Flugzeuge einsetzte, war ein solcher gemeinsamer Flug einer Bf 109 mit einer B-17 für die Flak-Schützen zwar ungewöhnlich, aber nicht völlig abwegig. Zwischenzeitlich ließ Brown, der der Situation gegenüber immer noch misstrauisch war, ein Maschinengewehr auf Stiglers Bf 109 ausrichten. Nachdem beide Flugzeuge die Nordsee erreicht hatten, salutierte Stigler zu Brown, drehte ab und landete auf dem Fliegerhorst Bremen-Neuenlanderfeld.

Die Ye Olde Pub landete sicher in Norfolk; Brown meldete den Vorfall sofort seinem Vorgesetzten und wurde zu Stillschweigen verpflichtet. Stigler erzählte zunächst niemandem außer seiner Frau von den Ereignissen. Erst im Sommer 1990 erzählte er Adolf Galland davon. Dessen Reaktion: „Das sieht Dir ähnlich.“

Nach dem Krieg
Brown setzte sich nach weiteren Einsätzen im Welt- und im Vietnamkrieg in Miami zur Ruhe, Stigler diente bis Kriegsende weiter und wanderte 1953 nach Vancouver, Kanada, aus. Brown versuchte zeitlebens die Motive des deutschen Piloten zu ergründen, Stigler fragte sich dagegen, ob es die B-17 nach England geschafft hatte. 1987 begann Brown vor allem in Archiven zu suchen. Dank der Unterstützung von Adolf Galland veröffentlichte das Jägerblatt, die Zeitschrift der Gemeinschaft der deutschen Jagdflieger, einen Suchbrief von ihm. Daraufhin nahm Stigler 1990 Verbindung mit ihm auf. Die Männer und ihre Frauen verband fortan eine enge Freundschaft. Die Ereignisse wurden in dem 2013 erschienenen Tatsachenroman A Higher Call thematisiert. Das Buch erschien 2017 in deutscher Übersetzung unter dem Titel Eine höhere Pflicht.

5 Gedanken zu „Ehrenmann Franz Stigler“

    • Jeder Mensch sollte ein Gewissen haben und nicht nur Generäle. Wenn du Mordhandlanger wirst, bist du der die Schuld zum großen Teil trägt.

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